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... auf das Thema Sprechen zurück. Es ist ein vielfältiges Phänomen und von neuem aktuell.

Ich gehe davon aus, dass jeder manchmal Situationen erlebt, in denen er oder sie sich sprachlos fühlt: entweder weiß man nicht, was man sagen soll oder man würde schon gerne etwas sagen, findet aber keine Worte dafür.

Aus meiner eigenen Sprachlosigkeit heraus, habe ich mich immer für die Sprache von Babys und kleinen Kindern interessiert. Mitzubekommen, wie sie sich von allen Seiten Sprache aneignen, ist mir eine dauernde Quelle der Inspiration. Ich finde auch, dass es kaum eine bessere Möglichkeit gibt, Zeuge zu sein bei der Entstehung von Sprache in all ihrer Komplexität.

Beim Neugeborenen ist zuerst zu beobachten, dass Sprache und die Fähigkeit zu sprechen nicht mit dem Mund, sondern mit den Ohren anfängt. Am Innehalten seiner Bewegungen, auch der seiner Augen, zeigt das Baby, dass es hört, wenn man mit ihm spricht oder es von Geräuschen umgeben ist – es ist „ganz Ohr“.

Schon im Alter von wenigen Wochen und Monaten gibt uns das Baby bereits zu erkennen, dass es versteht, was wir ihm sagen. Man möchte es nicht glauben, aber seine Reaktionen sind unmissverständlich Antworten. Unter den reflexartigen Regungen sind diese Antworten nicht immer leicht zu erkennen, aber wir lernen allmählich, sie in dem Gewirr der Bewegungen zu sehen.

Im Tête-à-tête fühlt man sich vom ganz kleinen Kind regelrecht unter die Lupe genommen. Während man von Angesicht zu Angesicht mit dem Baby spricht, wandern seine Augen über das ganze Gesicht; den Mund, die Lippen, die Augen, die Stirn, Wangen, Kinn und Ohren. Alles. Wir sehen, wie es sein eigenes Gesicht bewegt und Grimassen macht. Mit Mühe gelingt es ihm auch das eine oder andere Geräusch herauszubringen. Mitten im Schauen und Hören versucht es selbst etwas zu sagen.

An diesen Versuchen wird die Vielfalt der Fähigkeiten erkennbar, die das Kind einsetzt, um sich der Sprache zu bemächtigen: Hören, Sehen, Bewegung (Motorik) und natürlich Denken und Verstehen. 

Mit zwei bis drei Jahren sind die meisten Kinder hörbar auf dem Weg der Eroberung von Worten. Sie reden und reden. Sie stellen Fragen über Fragen – wenn sie dürfen. Ihre Gedanken springen von einem zum anderen, ohne dabei – wie es uns beigebracht wurde – einer geraden Linie zu folgen.

So unmittelbar wie sie ihre springenden Gedanken aussprechen, dürfen wir annehmen, dass sich noch nichts zwischen ihre Gedanken und ihr Sprechen geschoben hat. Wie Anna Tardos zu sagen pflegt: Ich denke laut. Mein Empfinden ist, dass wir in dieser kurzen Zeit – zwischen zwei und vier Jahren – die Gedanken der Kinder beim Entstehen hören dürfen.

Wann immer ich mit der Sprachlosigkeit konfrontiert werde, ob mit meiner eigenen oder der von jemand anderem, frage ich mich, wie das möglich ist. Was ist in der Zeit zwischen jetzt und der frühen Kindheit passiert, das uns sprachlos werden ließ? Was für Hemmungen haben sich zwischen unser Denken und unser Sprechen bzw. Schreiben geschlichen?

Ich weiß, dass wir auf der Suche nach Ursachen unsere Vergangenheit wieder aufrollen, sie durchleuchten und analysieren können. Das ist ohne Zweifel interessant. Sehr interessant sogar.

Ich aber ziehe es vor, mich an die Kinder zu erinnern und mich von ihnen ermutigen zu lassen, das, was in mir ist, unmittelbar zum Ausdruck zu bringen.

Peggy Zeitler, 2009