Emmi Pikler Wege der Entfaltung e.V.

Interview mit Karsten Czimmek, Leiter des Montessori-Kindergartens Niederseeon,
zum Forum am 26. November 2013

Frage: Für Ihr nächstes Elternforum am 26. November 2013 in der Montessori-Schule Niederseeon um 20 Uhr haben Sie sich gemeinsam mit Ihrer Kollegin Anna Breckner ein im wahrsten Sinne des Wortes sehr emotionales Thema vorgenommen. Worauf dürfen sich die Teilnehmer des Forums einstellen?

Czimmek: Vor allem ist der Umgang mit starken Gefühlen von Kindern ein Thema, bei dem schnell Abwehr, negative Bewertungen, Ängste und damit die eigenen Erfahrungen der Eltern ins Spiel kommen. Einfache Antworten und eine distanzierte Reflexion über das Thema wären da unangemessen. Da sind Eltern ebenso wie Pädagogen als Person gefragt.

Dann beginnen wir doch mit diesem persönlichen Zugang: Wie geht es Ihnen als Pädagogen mit den starken Gefühlen der Kinder, die sie in Ihrem Kindergarten erleben?

Auch ich als Pädagoge fühle mich da vom Kind als Mensch mit eigenen Emotionen angesprochen. Ein Teil in mir kann da erschrecken oder die Situation unangenehm finden. Und dennoch will und muss ich dem Kind einen Raum geben, wo es emotional sein kann, wo die Emotion selbst immer auf Akzeptanz trifft. Auch wenn mir die Form, in der das Kind sie zeigt, gerade nicht gefällt. Hilfreich ist es, wenn ich mir meiner eigenen Emotionen bewusst bin, die durch das Verhalten des Kindes ausgelöst werden, und sie unterscheiden kann von dem, was das Kind gerade erlebt. Dann kann ich mich darauf einlassen, was das Kind gerade fühlt.

Das scheint mir leichter zu sein, wenn das Kind Angst hat oder traurig ist, als wenn Ärger und Wut das Verhalten kennzeichnen.

Mein Gefühl dazu mag unterschiedlich sein. Ärger und Wut lösen sicherlich etwas anderes aus als Angst oder Traurigkeit. Wer will schon der „schlechte“ Papa sein, dessen Kind wütend ist – das ist auch ein gesellschaftliches Thema. Dennoch wird es viel schwerer für uns und das Kind, wenn wir zwischen guten und schlechten Gefühlen unterscheiden. Gefühle sind einfach da! Sie kommen und gehen. Sie zu bewerten und manche abzulehnen lässt sie doch nicht verschwinden. Der Appell an das Kind, jetzt aber „vernünftig zu werden“ oder die Beschwichtigung, „du musst keine Angst haben“ wären leider nur der nutzlose Ausdruck meiner Hilflosigkeit.

Dann muss ich als Vater oder Mutter, der intuitiv versucht, diese Gefühle „wegzumachen“, doch damit rechnen, dass das wirkungslos bleibt und ich mich noch hilfloser fühle?

Genau das ist das Problem, dass die Gefühle nicht wirklich weg sind. Und dennoch sollten Eltern auch sich akzeptieren und wahrnehmen, dass dieser Impuls da ist. Dann haben Sie die Chance aktiv nach Wegen zu suchen, um angemessener mit der Situation umzugehen.

Was ist denn der angemessene Weg, wie ich mit „Wut“ umgehe?

Auch wenn das im Einzelfall sehr individuell sein mag: Ich denke es geht vor allem darum, es auszuhalten, dass das Gefühl da ist. Dann kann ich dem Kind zeigen, dass ich es mit seiner Wut respektiere. Die Botschaft heißt, ich bin da, und ich versuche Dich zu verstehen. Ein wirklich interessiertes „Du bist aber wütend…?“ kann meine Akzeptanz ausdrücken. Das ist dann eine wirkungsvollere Einladung zum Austausch mit dem Kind, als die Frage, nach den Gründen für die Wut. Das Kind muss sich nicht für seine Gefühle rechtfertigen.

Wie ist das im Kindergarten? Was passiert mit den anderen Kindern, die das beobachten?

In der Gemeinschaft des Kindergartens erlebe ich immer wieder „Grenzgänger“, also Kinder, die Gefühle offensiver ausleben. Ihr Verhalten und mein Umgang damit wird dann zu einer Lernchance für alle Anderen. Die Anderen können erleben, dass mir auch dann nichts passiert, wenn ich starke Gefühle ausdrücke. Sie können sehen, dass diese genauso ernst genommen werden, wie anderes Verhalten.

Hier zeigt sich ein Grundgedanke meiner Arbeit mit Kindern: Wenn ich mir wünsche, dass Kinder etwas lernen, dann muss ich immer einen Raum schaffen, in dem das Kind sich in seiner Einzigartigkeit ausdrücken kann. Erst dann kann das Kind an der Form arbeiten, wie es seine Emotionen zeigt – vielleicht mit meiner Unterstützung.

Selbst wenn ich das mit meiner Vernunft begriffen habe, scheint es mir als Vater oder Mutter schwer zu sein, nicht in die Falle zu laufen und zu versuchen, das Kind mit klugen Argumenten zur Vernunft zu bringen.

Deshalb möchte ich die Eltern im Forum dazu einladen, nicht nur darüber nachzudenken, was wir tun können und was die Kinder von uns brauchen. Der Ausgangspunkt für mein Handeln ist ja, wie ich mich mit mir selbst auskenne und wie ich für mich sorge. Mein Umgang mit meinen Gefühlen ist die Basis für eine innerlich ruhige und respektvolle Reaktion auf mein Kind. Es geht also auch um die Frage, was die Kinder in uns auslösen.

Das klingt nach einer sehr vielschichtigen Arbeit im Forum. An wen richtet sich denn die Einladung zum Forum?

Im Forum freuen wir uns auf alle interessierten Teilnehmer, die mit Kindern zu tun haben und die das Thema wiedererkennen. Zudem ist es auch an Eltern gerichtet, die gerade einen „passenden“ Kindergartenplatz suchen. Ich würde mich besonders freuen, wenn auch diese Eltern, das Forum dazu nutzen, uns kennenzulernen.

Natürlich treffen Sie uns auch am Tag der offenen Tür, den die Montessori-Schule und der Kindergarten am 30. November 2013 in Niederseeon veranstalten. Dort sehen Sie den Raum, den wir Kindern für ihre Entfaltung und Entwicklung anbieten, und können mit uns ins Gespräch kommen.

Pikler Pädagogik

"Die wahre Genialität ist die existenzielle Genialität. Ich wage zu behaupten: Nahezu alles Wissen, das nicht unmittelbares Wissen über uns selbst ist, ist umsonst"
(Imre Kertész)


Audio: Charlotte Selver liest
"Der Anfang vom Anfang"
(MP3 Dowload, ca 32 MB) ...


Emmi Pikler Buch

Czimmek, Anna
Emmi Pikler - Mehr als eine Kinderärztin
28,00 €
P. Zeitler Verlag
ISBN 978-3-931428-20-4

"Emmi Pikler (1902-1984) war eine ungewöhnliche, ungarische Kinderärztin. Sie beschäftigte sich intensiv mit den Bedingungen für eine gesunde und freie Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern. Dies war untypisch für Kinderärzte. Ihre Fähigkeit zur genauen Beobachtung führte zu neuen Erkenntnissen über die Kompetenz und Bedürfnisse des Kindes - Grundlage für eine bis heute aktuelle Pädagogik.

Mit inhaltlichen Beiträgen von Mária Vincze, Anna Tardos und Myriam David sowie Éva Kálló.

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