Emmi Pikler Wege der Entfaltung e.V.

Erkläre es mir und ich werde es vergessen.
Zeige es mir und ich werde mich erinnern.
Lass es mich selbst tun und ich werde es verstehen.
(Konfuzius)

In einem Brief an seinen Freund Lucilius schrieb Seneca einst: "Non vitae sed scholae discimus. - Leider nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir." Bekannter ist die folgende Version: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. Möglicherweise greift aber auch das zu kurz und wir können an dieser Stelle noch einen Schritt weiter gehen: Wir lernen auch nicht für das Leben, wir lernen am und im Leben!

Kindergarten wie Schule als Bildungseinrichtung bieten üblicherweise auf der Grundlage eines Bildungsplans Lehr- und Lernprogramme. Das sind in der Regel isolierte Lernsituationen, die kaum einen aktuellen Lebensbezug haben.

Einen konkreten Lebensbezug hat all das, was unmittelbar mit dem Leben zu tun hat - das was ich mache, was mich beschäftigt, was mich interessiert. Das Leben bietet einen Reichtum, der sich durch kein Programm ersetzen lässt. Die Gedanken, die die Kinder äußern, die Fragen, die sie stellen, die Begegnungen, die sie haben, also all die Themen, mit denen sie tagtäglich beschäftigt sind und die ihr Leben ausmachen, sind ausreichend vielfältig. Darin stecken das eigentliche Potential und die Fülle der Entfaltungsmöglichkeiten der Kinder. Dies stellt den Stoff dar, mit dem wir arbeiten.

Während wir im Kindergarten zusammen sind, hat jeder einzelne die Möglichkeit, seine Interessen zu entdecken und ihnen nachzugehen.

Die Kinder machen im Kindergarten eine Vielzahl an Erfahrungen, auf deren Boden später Abstraktionen möglich werden. Denn erst dann, wenn eine hinreichende Grundlage an konkreten Erlebnissen geschaffen wurde und die Kinder einen Erfahrungsschatz haben, wird abstraktes Lernen möglich.

Wenn die Kinder sich im Kindergarten ausprobieren und in ihrer Individualität erleben, werden sie von uns Erwachsenen niemals bewertet. Sie lernen sich selbst kennen; sie wissen, was sie können und was nicht. Aufgrund der sich damit bildenden Fähigkeit, die eigenen Möglichkeiten und Grenzen einzuschätzen, entwickeln die Kinder ein sicheres Selbstgefühl und ein Selbstvertrauen, das sich eben daraus nährt.

Die Gemeinschaft leidet bei alldem nicht. Im Gegenteil, die Kinder lernen voneinander und miteinander. Unsere Aufgabe als Pädagogen besteht darin, ihnen im Zusammenleben durch konkrete Hilfestellung Orientierung zu geben.

So findet eine Sozialisation mit maximaler Entfaltung der Individualität statt.1

1 Das vollständige Konzept liegt im Kindergarten aus und kann dort eingesehen werden.

Kindergarten Niederseeon

Foto: Karsten Czimmek, 2004